Verfasst von: gdittrich | 3. April 2014

Klage-, Fluch-, Feind-, Rache- bzw. Vergeltungspsalmen

Gerechtigkeit und Gnade

gisela-gepraegs Der Beter drückt seine leidvollen Lebensumstände vor Gott aus und fleht in äußerster Bedrängnis um die gewaltsame Vernichtung seiner Feinde.

Racheschreie in den Psalmen sind eingebunden in Klage über schwierige Umstände und Bitte um Errettung daraus. Der Beter bringt die Bitten direkt vor Gott, damit ER sich ihrer persönlich annimmt. Dadurch, dass Gott sich darum kümmert, verzichtet der Klagende aber auch darauf, selbst rächend und Recht schaffend einzugreifen. Und weil er die Bestrafung der Täter dem barmherzigen Gott anheimstellt, steht für den reuigen Schuldigen sogar der Weg zu Umkehr und Begnadigung wieder offen.

Ziel diesen Betens ist also nicht magische Verfluchung oder blindwütige Rache, sondern Gerechtigkeit, die die Möglichkeit der erbarmenden Gnade beinhaltet.

Foto: Gisela Gepraegs / Cimitero Monumentale, Mailand, Italien
„Der Gott der Psalmen ist kein gleichgültiger, an der Welt uninteressierter Zuschauer. Er ist der Richter von Welt und Geschichte, vor dem sich die, die Unrecht tun, verantworten müssen, und bei dem die Bedrängten und Betrogenen Recht finden. In diesem Zusammenhang der Gerechtigkeit spricht die Bibel vom Zorn Gottes. (…) Der Kampf gegen Unrecht und Gewalt und die, die dafür verantwortlich sind, wird sozusagen zur ‚Chefsache‘ erklärt; die Vergeltung ist nichtMenschensache, sondern wird an Gott abgegeben“ (Ursula Silber).

  • Psalm 4,2 Erhöre mich, wenn ich rufe, Gott meiner Gerechtigkeit, der du mich tröstest in Angst; sei mir gnädig und erhöre mein Gebet!

Spurgeon kommentiert: „Der Name, womit der Herr hier angeredet wird, Gott meiner Gerechtigkeit, verdient Beachtung, da er sonst nirgends in der Schrift gebraucht ist. Er bedeutet: Du bist der Urheber, der Zeuge, der Erhalter, der Richter und der Vergelter meiner Gerechtigkeit; auf dich berufe ich mich bei den Schmähungen und harten Urteilen der Menschen. Das ist Weisheit, die der Nachahmung wert ist. Lasst uns, Brüder, unsere Klagen nicht vor dem niedrigen Gerichtshof des Urteils der Leute vorbringen, sondern vor dem höchsten Gerichtshof vor dem königlichen Gericht des Himmels“.

Gottes Güte, Feinde und Namen

Die Logik der Güte Gottes besteht darin: Weil Gott gut ist, wird er den Feind besiegen. Was für den Psalmbeter der Ausgleich der erlittenen Pein darstellt, kann für den Peiniger sogar einen grausamen Tod bedeuten – freilich als Strafe für begangene und selbst zu verantwortende Gräuel.

  • Psalm 59,11 Mein Gott wird mir voll Güte entgegenkommen, er lässt mich ‚als Sieger‘ herabsehen auf alle meine Feinde.

  • Psalm 143,12 Ich rechne mit deiner Güte; vernichte doch meine Feinde, vertilge alle, die mir ans Leben wollen; denn ich gehöre dir!

„Die Feinde des Beters sind streng genommen ‚Feinde Gottes‘. Sie wollen Gott das Recht auf die Herrschaft über sein Volk streitig machen. Deshalb ist der Beter so gegen die Feinde, die nicht nur ihm schaden wollen, sondern dem Ruf Gottes“ (Jakob Stehle).

  • Psalm 139,21 Sollte ich nicht hassen, Herr, die dich hassen, nicht die verabscheuen, die sich gegen dich erheben? 22 Ja, ich hasse sie mit äußerstem Hass und betrachte sie als meine eigenen Feinde!

In der Auseinandersetzung des Volkes Israels mit seinen Feinden geht es gerade auch um Gott – Gottes Namen, seine Heiligkeit, seine Ehre, sein Ansehen stehen auf dem Spiel. Von Gott wird gefordert selbst für die gemeinsame, gerechte Sache einzutreten. Gott soll seine Macht, Regentschaft und Herrschaft zeigen; ER soll demonstrieren, dass er alles Geschehen auf Erden kontrolliert.

  • Psalm 79,9 Hilf uns, du Gott, der uns Rettung schenkt, damit dein Name überall geehrt wird! Befreie uns, vergib uns unsere Sünden – es geht doch um das Ansehen deines Namens! (…) 12 Lass den Hohn unserer Nachbarvölker siebenfach auf sie selbst zurückfallen – letztlich haben sie doch dich, Herr, damit verspottet!

  • Psalm 59,14 Mach ein Ende mit ihnen in deinem Zorn, vernichte sie, dass nicht mehr von ihnen übrigbleibt! Daran wird man erkennen, dass Gott herrscht über ganz Israel und bis in die entferntesten Winkel der Erde.

Der schwache Mensch kann das Böse nicht selbst aus der Welt schaffen

„Trotzdem dürfen wir nicht vergessen, dass die Beter in so tiefer Bedrängnis waren, dass sie Gott um Bestrafung beten mussten, damit das Unrecht ein Ende findet. Ob wir mit Recht solche Psalmen als „Rachepsalmen“ bezeichnen, bleibt umstritten, geht es doch letztlich nicht um „Rache“ sondern um die Bitte, dass Gott das Böse bestraft. Die Fluchpsalmen zeigen uns das Ende der Eigenhilfe des Menschen gegenüber dem Bösen; Gott muss eingreifen, um das Böse einzudämmen und zu bestrafen“ (Jakob Stehle).

  • Psalm 54,3 Gott, durch die Kraft deines Namens rette mich! Erweise deine Macht und verschaffe mir Recht!

  • Psalm 56,8 Sollen sie frei ausgehen bei so viel Unrecht? Gott, schlage sie in deinem Zorn zu Boden!

„Es geht um Rettung aus Todesnot, die von Gott erwartet wird. Das ist der zentrale Punkt: ‚Nicht die Feinde sind wichtig, alles dreht sich darum, dass Gott dem Beter hilft!‘ (…) Das böse Tun soll verhindert oder zumindest so schnell wie möglich beendet werden! Dabei geht es immer um ein Begrenzen und Reduzieren der Gewalt. (…) Der Zorn über Ungerechtigkeit und Verletzung muss zur Sprache kommen dürfen, auch der Wunsch danach, dass der Gewalt Einhalt geboten wird und die, die Böses tun, zur Rechenschaft gezogen werden“ (Ursula Silber).

Die Sprache der Psalmisten erscheint oft krass und radikal.

  • Psalm 58,7 Gott, zerschlage ihnen die Zähne, zerbrich das Gebiss dieser Löwen, HERR! 8 Lass sie verschwinden wie versickerndes Wasser, lass ihre Pfeile das Ziel nicht erreichen, 9 lass sie wie Schnecken in Schleim zerfließen, wie Totgeburten die Sonne niemals sehen! 10 Es soll ihnen gehen wie dornigen Ranken: Der Wirbelsturm soll sie aus dem Boden reißen, ehe sie zu Gestrüpp zusammenwachsen, noch grün, bevor sie vertrocknet sind! 11 Alle, die Gott gehorchen, werden sich freuen, wenn sie sehen, wie Gott Vergeltung übt; sie werden im Blut der Unheilstifter waten. 12 Und alle Menschen werden bekennen: »Wer Gott die Treue hält, wird belohnt. Es gibt einen Gott, der für Recht sorgt auf der Erde.«

Ja, Gott schafft zu seiner Zeit den Ausgleich, ER stellt den Leben ermöglichenden Zustand wieder her. Und trotzdem und weiterhin gibt es Leid und Leiderfahrungen in der Welt. Aber – wie bereits gesagt – ist es Gottes Sache für die Herstellung von Recht und Gerechtigkeit zu sorgen. Der Mensch hat dabei einen eher anzeigenden Part inne, indem er Gott lediglich auf das Leid „aufmerksam macht“ und geduldig auf Gottes Eingreifen wartet.

  • Psalm 27,14 Harre des HERRN! Sei getrost und unverzagt und harre des HERRN!

Der schwache Mensch soll das Böse nicht selbst aus der Welt schaffen

  • Röm 12,19 Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5. Mose 32,35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«

  • 1Petr 2,23 Wenn er (Jesus) beleidigt wurde, gab er es nicht zurück. Wenn er leiden musste, drohte er nicht mit Vergeltung, sondern überließ es Gott, ihm zum Recht zu verhelfen.

In einem modernen Psalm klagt eine Frau (Carola Moosbach), die als Kind missbraucht wurde …

„Ich fordere Deine Gerechtigkeit Gott

hilf mir tritt Du für mich ein

lass ihn zittern vor Angst diesen Kinderseelenmörder

zu einem Nichts schrumpfen soll seine Seele

Du sollst mein Racheengel sein Gott

hilf mir tritt Du für mich ein

lass ihn nicht davonkommen diesen ehrbaren Schrebergärtner

erfinde die Hölle neu für ihn

Du allein bist stärker als er Gott

hilf mir tritt Du für mich ein

lass meinen Körper wieder ganz allein mir gehören Gott

schmeiß ihn aus meiner Seele

Nur Du kannst mich von ihm freikämpfen Gott

hilf mir tritt Du für mich ein

und sag Deinen Leuten sie sollen mit ihrem Gesäusel aufhören

bis in die Schrebergärten muss man sie hören

In mir tut alles so weh Schwester Gott

hilf mir tritt Du für mich ein

lass es nicht diesen Dreckskerl sein der als letzter lacht Gott

und erlöse mich von meinem Vater für immer

Amen

Ist man nicht hilflos, wird man nicht wütend gegenüber den Mann, der statt Schutz und Fürsorge unsägliches Leid über sein eigenes Kind bringt? Muss der Täter nicht alle Härte der Bestrafung spüren? Und dennoch: Jesus starb auch für die Sünden von Verbrecher und Schwerverbrecher.

Als Jesus für die Schuld der Menschen ans Kreuz ging, ging Gott mit der Hingabe seines Sohnes bis zum Äußersten. In Jesu stellvertretender Übernahme der Sünde der ganzen Welt, wurde allen Menschen die Chance der Umkehr und der Auferstehung mit Jesus ermöglicht. Denn der schwache Mensch kann auch das Böse, das er selbst verbrochen hat, nicht selbst wieder aus der Welt schaffen. Doch Gott tat es!

Natürlich sträubt sich in uns alles mit anzusehen, dass sogar einen Kinderschänder vergeben werden kann. Meinen wir dabei Gott vorschreiben zu können, auf welche Weise er zu handeln hätte?! Wenn es für uns Menschen auch schier undenkbar ist, denkt doch Gott anders … denn zur Gerechtigkeit gehört gerade auch Gnade und Erbarmen.

  • Hos 11,8.9 Mein Herz ist andern Sinnes, alle meine Barmherzigkeit ist entbrannt. Ich will nicht tun nach meinem grimmigen Zorn. Denn ich bin Gott und nicht ein Mensch und bin der Heilige unter dir.

Vielleicht gestehen wir uns selbst nicht die Chance der Vergebung zu, für etwas, das wir getan oder nicht getan haben. Doch: die Kreuzestat Jesu gilt unmittelbar auch für uns. Wir dürfen zu Jesus kommen und uns mit Gott versöhnen lassen, um dann als Versöhnte zu leben und der Welt mit Liebe zu begegnen.

  • Jak 2,13 Denn es wird ein unbarmherziges Gericht über den ergehen, der nicht Barmherzigkeit getan hat; Barmherzigkeit aber triumphiert über das Gericht.

  • Mt 5,7 Jesus sprach: Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.

Quellen:

Carola Moosbach, Gottesflamme Du Schöne. Lob- und Klagegebete

Jakob Stehle, Kleines Begriffslexikon, Stichwort: Fluchpsalmen („Rachepsalmen“)

http://www.glauben-und-bekennen.de/besinnung/begriffe-f/fluchpsalmen.htm

Ursula Silber, ‚Das Eingeklammerte beten wir nicht mit‘!? Zur Problematik der „Feindpsalmen“ in der christlichen Rezeption

Klicke, um auf VortragUrsulaSilber-deutsch.pdf zuzugreifen

Charles HaddonSpurgeon, Die Schatzkammer Davids

http://www.sermon-online.de/search.pl?lang=de&id=8960.


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