Verfasst von: gdittrich | 29. Juni 2012

Spannung zwischen Recht und Gnade

Jesus schreibt in den Sand

Es geht nicht bloß um Gnade vor Recht ergehen lassen, um nachsichtig sein und auf Strafe zu verzichten.

„Ja freilich, die Sünde ist da, ich leugne sie nicht. Von Vergebung zu reden, wäre auch noch zu früh, und es ist nötig, Sünde zu benennen. Ich kann sie sogar aufschreiben: Da steht sie. Aber gilt sie auf Weltzeit? Steht sie etwa auf Stein, oder ist sie gar mit dem Finger Gottes geschrieben? Sie ist auf die Erde geschrieben, und mit dem Finger eines Menschen. Das letzte Wort über sie hat immer noch jener, der von sich sagt: Ich selber, ich selber bin‘s, der deine Auflehnungen wegwischt, um meinetwillen, deiner Sünden gedenke ich nicht mehr (Jes 43,25)“. Bedenbender meint, Jesus könnte dies bei sich gedacht haben, S.10*.

Gute Nachricht-Übersetzung

Joh 8,2 Am nächsten Morgen kehrte er sehr früh zum Tempel zurück. Alle Leute dort versammelten sich um ihn. Er setzte sich und sprach zu ihnen über den Willen Gottes.

Das Laubhüttenfest ist vorbei, doch die Menschen wollen von Jesus mehr über Gott erfahren.
 
3 Da führten die Gesetzeslehrer und Pharisäer eine Frau herbei, die beim Ehebruch ertappt worden war. Sie stellten sie in die Mitte 4 und sagten zu Jesus: »Lehrer, diese Frau wurde ertappt, als sie gerade Ehebruch beging. 5 Im Gesetz schreibt Mose uns vor, dass eine solche Frau gesteinigt werden muss.
Wo ist eigentlich der Mann? Konnte er rechtzeitig fliehen? Ließen sie ihn unbehelligt?
 
• 3Mo 20,10 Wenn jemand mit der Frau eines anderen Israeliten Ehebruch begeht, müssen beide getötet werden, der Ehebrecher und die Ehebrecherin.
 
Was sagst du dazu?« 6 Mit dieser Frage wollten sie ihm eine Falle stellen, um ihn anklagen zu können.
Die Falle ist, dass wenn er die Frau gehen lässt gegen das Gesetz verstößt, fordert er aber ihre Verurteilung, so kann ihn unbarmherziges Verhalten vorgeworfen werden; er würde seinen Ruf als „Freund der Zöllner und Sünder“ verlieren und könnte überdies bei den Römern angeklagt werden, da es allein der Besatzungsmacht oblag Todesurteile auszusprechen und zu vollstrecken (vgl. Jesus Tod am Kreuz, dem römischen Hinrichtungswerkzeug).
 
Jesus Anspruch besteht darin Gottes Gesetz zu erfüllen.
 
• Mt 5,17 »Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Weisungen der Propheten außer Kraft zu setzen. Ich bin nicht gekommen, um sie außer Kraft zu setzen, sondern um ihnen volle Geltung zu verschaffen.
 
Gleichermaßen besteht Jesu Auftrag gerade darin die Verlorenen zu suchen; natürlich will er die Frau nicht aufgeben.
 
• Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten (Mt 9,13; Mk 2,17; Lk 5,32).
 
Aber Jesus bückte sich nur und schrieb mit dem Finger auf die Erde.
Das Ergebnis dieser Performance würde heute in der Kunstszene sicherlich für Unsummen gehandelt werden.
 
Ist Jesus wegen des Entscheidungsdilemmas verunsichert? Versucht er Zeit zu gewinnen, indem er abgewandt, in sich gekehrt nach einer Antwort ringt? Sicherlich betet er innerlich, richtet sich auf und zu Gott.
 
7 Als sie nicht aufhörten zu fragen, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: »Wer von euch noch nie eine Sünde begangen hat, soll den ersten Stein auf sie werfen!«
Volxbibel: Okay, dann soll mal der den ersten Stein schmeißen, der noch nie in seinem Leben Mist gebaut hat!
 
Nicht die Augenzeugen, die die Frau beim Ehebruch auf frischer Tat ertappten sollen den ersten Stein werfen, sondern die Sündlosen, diejenigen, die sich moralisch keiner Schuld bewusst sind.
 
• 5Mo 17,7 Die Zeugen werfen als erste einen Stein auf die betreffende Person, danach alle versammelten Männer der Stadt so lange, bis sie tot ist.
 
8 Dann bückte er sich wieder und schrieb auf die Erde.
Einmal schrieb Gott selbst …
 
• 2Mo 31,18 Nachdem der HERR zu Ende gesprochen hatte, übergab er Mose auf dem Berg Sinai die beiden Steintafeln, auf die er selbst das Bundesgesetz geschrieben hatte.
 
Im Unterschied dazu schreibt Jesus nicht auf Stein, sondern auf Sand, was ein Bild der Vergänglichkeit darstellt und auf Vergebbarkeit verweist.
 
9 Als sie das hörten, zog sich einer nach dem andern zurück; die Älteren gingen zuerst. Zuletzt war Jesus allein mit der Frau, die immer noch dort stand.
„Wie funktioniert die Frage Jesu? Für gewöhnlich wird angenommen, aus der Reaktion der Volksmenge gehe hervor, alle hätten sich für Sünder und damit als Richter bzw. Vollstrecker eines Urteils für disqualifiziert gehalten, aber ist das sicher? (A) Kein Sünder darf andere Sünder richten. (B) Ihr alle seid Sünder. (C) Folglich dürft ihr niemanden richten. (D) Also dürft ihr auch diese Frau nicht richten (…) Die Menge – und die Ältesten an der Spitze – hätte antworten können: Gut, wir sind Sünder. So what? Wir stehen hier nicht aus eigenem Antrieb, sondern weil es uns von Gott in der Tora geboten ist, so zu handeln. Sollen die Sünder von der Erfüllung der Tora freigestellt werden?“ (Bedenbender, S.3)
 
10 Er richtete sich wieder auf und fragte sie: »Frau, wo sind sie geblieben? Ist keiner mehr da, um dich zu verurteilen?« 11 »Keiner, Herr«, antwortete sie. Da sagte Jesus: »Ich verurteile dich auch nicht. Du kannst gehen; aber tu diese Sünde nicht mehr!«
Jesus verurteilte sie weder, noch begnadigte er sie. Ist denn die Nicht-Verurteilung bereits Vergebung?
 
Manche Kommentatoren verstehen die Geschichte allegorisch. Die Ehebrecherin sei ein Sinnbild der späteren Heidenkirche. Vor diesem Hintergrund ist es logisch, dass kein Ehebrecher (das ist die Sünde, der Götzendienst) angeklagt werden kann. Der nicht erwähnte betrogene Ehemann ist demnach Gott selbst. Er hätte ein Recht sich von ihr scheiden zu lassen – tut es aber nicht.
 
• Mt 19,9 Wer sich von seiner Frau trennt und eine andere heiratet, begeht Ehebruch – ausgenommen den Fall, dass sie ihrerseits die Ehe gebrochen hat.
 
Die Erzählung wurde zum ersten Mal in einer syrischen Kirchenordnung des 3. Jahrhunderts erwähnt und gehört seitdem fest zum Kanon der neutestamentlichen Bibel. Thematisch geht es um die frühkirchliche Bußpraxis; in der Gemeinde der Getauften und Erlösten dürfe eigentlich keine schwerwiegende Sünde mehr vorkommen; was ist wenn doch? Gibt es die zweite Chance, eine Möglichkeit noch einmal neu zu beginnen? Hierzu ist Vergebung notwendig.
 
Die Aufnahme der Erzählung in den neutestamentlichen Kanon kann mit dem Eingreifen des Heiligen Geistes erklärt werden. Eine rigorose Praxis soll vermieden und Gottes Barmherzigkeit sowie seine übergroße Vergebungsbereitschaft demonstriert werden. Jesus selbst führt in immer neuen Bildern die Liebe Gottes zu den Menschen vor Augen.
 
• 1Joh 1,9 Wenn wir aber unsere Verfehlungen eingestehen, können wir damit rechnen, dass Gott treu und gerecht ist: Er wird uns dann unsere Verfehlungen vergeben und uns von aller Schuld reinigen, die wir auf uns geladen haben.
 

Andreas Bedenbender, Der Sündlose unter euch werfe als erster auf sie einen Stein (Joh 8,7), abgedruckt in: TuK 58 [2/1993], 21–48;
http://www.texteundkontexte.de/BeJesus.rtf

Medard Kehl SJ, Wer ohne Sünde ist, der … (Joh 8,1-11);
http://www.sankt-georgen.de/kehl/pdf/Predigten/Kehl_Predigt_Wer_ohne_Suende_ist.pdf


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